Nicht erst heute sind Migration und Integration wichtige gesellschaftliche Themen. Anfang der 1980er Jahre wurden sogenannte „Modellklassen“ am Klenze für Schülerinnen und Schüler mit türkischen Wurzeln eingerichtet. In diesen Klassen gab es beispielsweise Türkisch als Unterrichtsfach. Zwei ehemaliger Klenzeaner aus diesen Klassen geben uns sehr persönliche Eindrücke darüber, wie es war in der ersten dieser Klassen zu sein – und wie ihr Leben dann weiterging.

Erinnerung eines ehemaligen Schülers an die erste türkische Modellklasse am Klenze-Gymnasium

 

Die Schuljahre, die man auf dem Gymnasium verbringt, sind für jeden prägend, egal ob man das zugibt oder nicht, und unabhängig davon, ob man es mit dem Abitur erfolgreich abschließen konnte.

Ich glaube ich spreche im Namen aller meiner ehemaligen türkischen Mitschüler, wenn ich behaupte, dass das natürlich ganz besonders für uns galt, die auf dem Klenze-Gymnasium München erstmals eine sog. Modellklasse besuchen durften.

Zu dem Thema, was eine Modellklasse ist, möchte ich auf die ganz aktuelle Seminararbeit von Aleksander Rajic, Schüler des Klenze-Gymnasiums der 12. Klasse verweisen. Im Vorfeld zu diesen Zeilen hatte ich Herrn Rajic ein Interview zu dieser Zeit und meine Erfahrungen gegeben und auch mit Herrn Georg Freitag, ehemaliger Lehrer des Klenze-Gymnasiums gesprochen. Letzterer bat mich etwas hinsichtlich meiner Erinnerungen an meine Zeit an der Schule in den Jahren 1979 bis 1988 zu schreiben, und wenn auch mit etwas Verspätung will ich dem jetzt sehr gerne nachkommen.

 

Bereits die Zeit auf der Klenzeschule (in der Klenzestraße in München) in der vierten Klasse war sehr spannend. Meine Klassenlehrerin Güner Babakurban ging aufgrund meiner Leistungen fest davon aus, dass ich den Übertritt schaffe, so dass ich unter einem gewissen Erfolgsdruck stand. Tatsächlich bewerkstelligten nach meiner Erinnerung ca. 6 Schüler den Übertritt aufs Gymnasium, und zwar alle an eine Modellklasse. Allerdings wurden nur mein lieber Freund Ertan Sakalli und ich an das Klenze-Gymnasium zugewiesen, die anderen Mitschüler (so Mergim Sadikoglu, Özer Basar, Mustafa Kaptan) an das Asam-Gymnasium, wo bereits im Schuljahr 1978/1979 die erste Modellklasse eingerichtet wurde.

Ich möchte es nicht verschweigen – Ertan und ich waren anfangs wenig begeistert, dass wir von unseren Freunden aus der Grundschule, die ebenfalls den Übertritt geschafft hatten, getrennt wurden. Allerdings konnten unsere Eltern nicht so gut Deutsch und meine zwei älteren Schwestern waren selber noch sehr jung, um sich dafür einzusetzen, dass wir vielleicht doch noch auf das Asam-Gymnasium kamen. So fühlten Ertan und ich mich zunächst vom „Schulsystem“ verraten, schickte es uns doch nicht an die Schule die wir besuchen wollten. Doch sehr schnell schlossen wir mit den anderen 23 türkischstämmigen Schülern neue Freundschaften, die zu einigen bis heute anhalten. Sogar mit einigen meiner türkischen Mitschülern aus der Grundschulzeit haben Freundschaften bis heute überdauert. Ganz anders sieht es leider mit dem Verhältnis zu unseren deutschen Mitschülern aus, und das ist auch nicht verwunderlich – es ergab sich schlichtweg keine nennenswerte Freundschaft, sondern nur einige recht oberflächliche Bekanntschaften. Und so ging es nicht nur mir, sondern allen meinen türkischen Mitschülern.

Woran lag es? Ich weiß es bis heute nicht ganz genau. In Anbetracht der Tatsache, dass ich mindestens so viele deutsche Freunde habe wie türkische, lag es nicht an einer Abschottung und Desinteresse meinerseits. Ich habe zeitlebens viele Freundschaften mit Deutschen geschlossen. Meine älteste besteht mit Elke – ich nenne sie meine Sandkastenfreundin, da wir schon seit unserem dritten bzw. zweiten Lebensjahr befreundet sind. Und sie ist auch meine Trauzeugin. Als kleines Kind habe ich viele Tage stundenlang bei unseren lieben deutschen Nachbarn, die ein Stockwerk unter uns wohnten, verbracht und mein Deutsch bei Ihnen gelernt (ich habe nie einen Kindergarten besucht). Auch während des Studiums, meiner Promotionszeit an der LMU und im Max-Planck-Institut sowie während meiner beruflichen Laufbahn entstanden Freundschaften zu Deutschen, die lange hielten bzw. noch halten. Meine Ehefrau, mit der ich bereits über 31 Jahre zusammen verbringe, ist Deutsche; wir wohnen seit über 19 Jahren im selben Haus und haben ein sehr inniges und herzliches Verhältnis zu unseren Nachbarn, viele sind sogar zu Freunden geworden – weit überwiegend Deutsche.  Ich vermute daher, dass das Modellklassensystem der ersten Stunde – zumindest hinsichtlich der Integration – nicht erfolgreich war. Nicht dass ich missverstanden werde – ich ging gerne ans Klenze-Gymnasium (soweit man das natürlich als ehemaliger Schüler sagen kann und die vielen Schmetterlinge im Bauch vor Prüfungen oder Sonntagsabends einmal  außen vor gelassen), meine Erinnerungen an diese Zeit sind sehr positiv und es gab mit den deutschen Mitschülern überhaupt keine Probleme oder Streitereien. Nur ergaben sich keinerlei Freundschaften zu ihnen und ich erinnere mich schlicht kaum an deren Namen – im Gegensatz zu den Lehrern. Zu einigen Lehrkräften von damals hält sogar der Kontakt bis heute an.

Aus heutiger Sicht würde ich einiges anders machen – wir als türkische Schüler hätten vielleicht mehr Initiative zeigen und offensiver Kontakt zu unseren deutschen Mitschülern suchen sollen. Ich für meinen Teil versuchte über meine Mitarbeit beim Klenzissimus, als Schülersprecher und später als zweiter Schulsprecher auf die Situation von uns „Modellklasseschüler“ aufmerksam zu machen – das Thema der mangelnden Integration hätte ich aber vielleicht noch deutlicher zur Sprache bringen sollen.

Hinsichtlich der Vorbereitung auf das Leben und meinen ausgeübten Beruf war der Besuch der Modellklasse auf dem Klenze-Gymnasium ein voller Erfolg. Schließlich schickten meine Eltern mich ursprünglich in diese besonderen Klassen, damit ich meine Muttersprache lernen soll, da mein Türkisch vor Beginn des ersten Grundschuljahrs erbärmlich war. Das Beherrschen meiner Muttersprache ermöglichte es mir, eine Dissertation über ein rechtsvergleichendes Thema in Bezug auf die Türkei zu schreiben (Probleme des türkischen Urheberrechts aus der Sicht des deutschen und europäischen Rechts) und die türkischen Quellen hierzu heranziehen zu können, mit türkischen Gelehrten und Akademikern in der türkischen Sprache zu diskutieren. Und schließlich jetzt meinen Beruf als Rechtsanwalt auszuüben und vor allem türkischen Unternehmen und Mitmenschen aus der Türkei oder aus Deutschland in rechtlichen Fragen zu unterstützen, dem türkischen Generalkonsulat in München seit 2005 als Vertrauensanwalt beiseite zu stehen, regelmäßig Zeitungskolumnen in türkischen Zeitungen zu schreiben, seit 2007 zusammen mit türkischen Akademikern ein Lehrbuch für geistiges Eigentum in der Türkei herauszubringen, ab und an im türkischen Fernsehen wichtige Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs oder anderer Gerichte im Ausländerrecht zusammenzufassen und zu kommentieren. All das wäre nicht möglich gewesen, wäre ich in der Modellklasse an der Klenzeschule und dann auf dem Klenze-Gymnasium nicht durch türkische Lehrer aus der Türkei in meiner Muttersprache unterrichtet worden. Daher hier nochmals – VIELEN DANK!

Nur hinsichtlich meiner zweiten Leidenschaft, der Kunst, war das Modellklassensystem nicht relevant – aber diesem Teil meines Lebens konnte ich mich auch so widmen. Mehr hierzu gerne auf www.temelnal.de oder auf Instagram unter Temel Nal Photo Art.

 

Dr. Temel Nal

Die beiden Schulfreunde heute



Verehrte Klenzianer,

Liebe Schüler, liebe Lehrer, liebe Online-Gäste,

ich freue mich, heute zum hundertjährigen Jubiläum unseres „Klenzes“ hier stehen zu dürfen.

Das Klenze Gymnasium hat es geschafft EIN-HUNDERT-JAHRE Geschichte zu schreiben.

Wie wichtig die Rolle der Schule im eigenen Leben war, lässt sich immer erst mit etwas

Abstand beurteilen. Welche Erlebnisse und welche Lehrer einen geprägt haben, wird einem

oft erst im Nachhinein bewusst.

Mir ist zum Beispiel heute noch in Erinnerung, wie aufgeregt wir als Schüler der 5. Klasse am

ersten Tag waren und voller Lampenfieber im Deutschunterricht saßen, ohne die Ahnung zu

davon zu haben, dass der Klassenlehrer unsere innere Aufregung übertrumpfen konnte, da es

auch sein erster Tag war. Herr Freitag hatte 1985 mit unserem Jahrgang seinen neuen Start

als Lehrer des Klenze-Gymnasiums.

Mir ist auch in Erinnerung, wie ich einmal ausgerechnet in meinem Lieblingsfach Physik in

einer Arbeit eine fünf geschrieben habe und die Lehrerin Ihre Enttäuschung nicht verbergen

konnte. Beschämt über den Ausrutscher nahm ich mir die Lehrerin, Frau Kreim, als Vorbild

und wählte zwei Jahre später sogar Physik als Leistungskurs.

Besonders in den Naturwissenschaften haben wir eine fundierte Ausbildung genossen und

viele engagierte und kompetente Lehrkräfte erleben dürfen.

Allerdings spielten am Klenze auch Sprachen eine wichtige Rolle. Denn

1985, als mein Jahrgang in die fünfte Klasse kamen, waren wir ein Teil eines Modellprojekts.

Unsere Klasse bestand komplett aus Kindern türkischer Familien. Statt dem

umgangssprachlichen Türkisch lernten wir im Unterricht die türkische Hochsprache

kennen, durften Aufsätze schreiben, Gedichte interpretieren und beschäftigten uns mit

Literatur aller Epochen. Auch wenn es aus diesen Modellklassen nur wenige es bis zum Abitur

geschafft haben, bin ich mir sicher, dass jeder von uns von dem Projekt „türkische

Modellklassen am Klenze“ profitiert und seinen Horizont erweitert hat. Allerdings muss ich zugeben, dass in den 80´ern das Klenze-Gymnasium sehr streng

naturwissenschaftlich orientierte war und durch seine ernste Ausbildung damals leider zu

wenig Rücksicht auf die mehrsprachigen Kinder nahm. Musisch oder sprachlich begabte

Kinder hatten es besonders schwer auf der Schule. Das führte sogar dazu, dass in einigen

Jahrgängen kein einziger türkischer Schüler aus dem Modellklassen bis zum Abitur schaffte.

Doch Klenze hat sich auch der Zeit angepasst. Inzwischen werden am Klenze Türkisch und

auch Chinesisch als spätbeginnende Fremdsprache angeboten. Die Schule entwickelt sich

ständig weiter und bemüht sich, die Schüler gut auf das Leben vor den Schultoren

vorzubereiten. Das geht über die reine Vermittlung von Wissen hinaus. Die Schule hat es

geschafft die Neugier in uns zu wecken, wie Einstein so schön sagte „Ich habe keine

besondere Begabung, sondern bin nur leidenschaftlich neugierig.“

Rückblickend kann ich persönlich sagen, dass mir meine Schulzeit hier neue Horizonte

eröffnet hat. Sie hat mich nicht nur – teilweise sehr stark – gefordert, sondern auch gefördert.

Ich kann mich noch gut daran erinnern, was für eine beeindruckende Erfahrung es für mich

als Türkin war, mit der Lateinklasse auf Klassenfahrt in Rom unzählige römische Kirchen

Kapellen zu besichtigen und in Vatikan den Papst „live“ bei der Osterrede zu hören. Bei dieser

Gelegenheit, Herr Kachel und Frau Indra, seid gegrüßt, ihr habt mir einen Grundstein gelegt.

Der naturwissenschaftliche Schwerpunkt des Klenze Gymnasiums hat viele von uns geprägt

und bei der Studienwahl beeinflusst. Unter meinen ehemaligen Mitschülern sind Ärzte,

Politologen, Chemiker etc. ich selbst habe Bauingenieurwesen studiert; vielleicht sogar wegen

den römischen Kirchen auf der Klassenfahrt oder im Einfluss des Baumeisters Leo von Klenze

😊

Während meiner Zeit am Gymnasium ist mir Sendling ans Herz gewachsen obwohl ich täglich

30 km zu dieser besonderen Schule freiwillig gependelt bin. Seit mehr als 18 Jahren führe ich

ein Immobilienunternehmer in Sendling – nur einen Katzensprung vom Klenze entfernt und ich

freue mich, dass mir hier immer wieder ehemalige Mitschüler und Lehrer über den Weg laufen

und viele Kontakte und Freundschaften aus der Schulzeit heute noch bestehen.

Ich wünsche dem Klenze, dass es auch in den nächsten 100 Jahren eine wichtige Institution

in Sendling bleibt, die viele Schüler prägt und auf ihr Leben nach der Schule gut vorbereitet.

München, den 10. Mai 2021

Dipl.-Ing. Aydan Bölük