Das Klenze verändert sich - ganz langsam

So sieht die Lehrerschaft im Jahr 1977 aus. Man beachte die unterschiedlichen Kleidungsstile. Tatsächlich war das Kollegium um 1980 auch ansonsten relativ heterogen, auch bei den Auffassungen, wie die Schule an sich aussehen soll. In dieser Zeit ändert sich die Schule und auch am Klenze zieht – so ganz langsam – ein neuer Geist ein. 

Drei Menschen berichten uns aus dieser Zeit –  eine Lehrkraft und zwei Schüler: Dr. Fritz John in seinem Bericht über seinen Dienstantritt im Jahre 1980 – welche Schule er vorfand und wie sich das Klenze weiter entwickelte. Michael Pabst nimmt aus Sicht eines Schülers Stellung zu einzelnen Aussagen von Fritz John (einfach auf die Links im Text klicken). Wolfgang Lanzenberger in seinem Film „Hundert Jahre Klenze – tausend Erinnerungen“ gibt uns einen sehr persönlichen Einblick in seine Schulzeit in den 70ern. Alle drei Zeitzeugen schildern nicht nur Positives und regen zum Nachdenken darüber an, wie Schule sein soll und wie nicht.

13. Februar 1980 – mein Dienstantritt am Klenze-Gymnasium. Obwohl „nur“ Religionsphilologe und kein Pfarrer, bin ich der einzige Lehrer für evangelische Religionslehre. Die Schulleitung bittet mich, von dem evangelischen Kollegen am Dante-Gymnasium, der aushilfsweise den Abiturkurs in evangelischer Religionslehre am Klenze unterrichtete, die Noten des ersten Halbjahres zu besorgen.

„So, Sie sind also der neue Religionskollege am Klenze-Gymnasium. Sehr problematische Schule, sehr problematisch!“ war das Erste, was ich von ihm hörte. Antwort auf meine Nachfrage, was an dieser Schule so problematisch sei: „Typisches Aufsteiger-Gymnasium!“ Aha.

Dass eine Schule einen Beitrag zu mehr Bildungsgerechtigkeit leistet, mochte ich nicht so sehr als Problem sehen – und dass die gerümpfte Nase über das Klenze über Jahrzehnte zur DNA der Nachbarschule gehörte, konnte ich noch nicht ahnen.

Probleme ganz anderer Art gab es am Klenze allerdings zur Genüge: Gut drei Monate später begann für den Jahrgang 1961 das Abitur, der geburtenstärkste Jahrgang in der Geschichte der Bundesrepublik. Mit knapp 1200 Schülerinnen (unter 20%) und Schülern platzte die Schule aus allen Nähten – mit erheblichen Folgen: Es gab Samstagsunterricht, was ich seit der Oberstufe meiner eigenen Schulzeit nicht mehr erlebt hatte, ich musste an drei Tagen die Woche in der nullten Stunde um 7.10 Uhr meinen Unterricht beginnen und zahlreiche Klassen waren sog. Wanderklassen, hatten also keinen festen Klassenraum. Allerdings: Um 13.00 Uhr war Unterrichtsschluss, eisern. Hinzu kam an vier Tagen die Woche eine Belegung durch die Volkshochschule. Dass das Gebäude einen reichlich ramponierten Eindruck machte, hatte aber auch noch eine ganz andere Ursache: Der Bau der U-Bahn zum Harras in den Jahren davor im Untergrund direkt unter dem Schulhaus hindurch führte zu gravierenden Schäden: Risse in etlichen Wänden, z.T. schief hängende Wandtafeln, im dritten Stock konnte man vom mittleren Klassenzimmer durch einen richtigen Schlitz in der Wand hinter der Tafel in den anschließenden Unterrichtsraum schauen.

Um dieser völligen Überlastung zu begegnen, plante die Stadt München im Westhof, wo jetzt die Tischtennisplatten stehen, ein zusätzliches Gebäude mit zwei Stockwerken auf Stelzen. Im Finanzausschuss des Lehrerkollegiums, in dem damals jede Fachschaft vertreten war, wurde heftig um die Verteilung der etlichen Zehntausend DM gestritten, die die Stadt für die Ausstattung des Neubaus bewilligt hatte. Wenige Wochen später wurde das Neubauprojekt 1983 beerdigt. Irgendjemand in der Planungsbehörde der Stadt hatte sich genauer angesehen, wie sich die Schülerzahlen in den nächsten Jahren  entwickeln würden. Tatsächlich sanken die Schülerzahlen kontinuierlich und dramatisch – der sog. Pillenknick. Der Jahresbericht 1989/90 verzeichnet am Ende noch 620 Schüler, gerade mal etwas mehr als die Hälfte vom Anfang des Jahrzehnts. Die Folge für das Lehrerkollegium: Stellenabbau und lange Zeit kontinuierlich steigendes Durchschnittsalter, da kaum noch jüngere Kollegen kamen. Obwohl die zahlreich zur Verfügung gestanden hätten. Reihenweise erhielten Referendarinnen und Referendare des Klenze-Gymnasiums (wie überall anderswo) nach dem zweiten Examen keine Anstellung. Die Schule verlor dann auch den Status einer Seminarschule.

Der Schulleitung dämmerte dann, dass die sinkenden Schülerzahlen aber auch an einem Attraktivitätsdefizit lagen – und so war es dann relativ bald soweit, dass die 5-Tage-Woche eingeführt wurde.

Etwas befremdet musste ich in den ersten Jahren meiner Tätigkeit feststellen, dass damals zeitgemäße pädagogische Methoden, die einem an der Seminarschule vermittelt wurden, am Klenze-Gymnasium auf wenig Sympathie stießen. So wurde z.B. eine Exkursion nach Schloss Nymphenburg zum Thema Barock & Absolutismus im Rahmen des Geschichtsunterrichts einer 9. Klasse abgelehnt, weil da ja Unterricht ausfallen könnte. Ich solle es dabei bewenden lassen, ein paar Dias zu zeigen. Nun war das Klenze-Gymnaisum hinsichtlich seiner Ausstattung mit Medien im Vergleich zu Seminarschule oder Schule des Zweigschuleinsatzes eine absolute Wüste: Es gab ganze drei altersschwache Dia-Projektoren aus den 50er Jahren, in die man jedes Bild einzeln hineinschieben musste, und zur Vorführung von Unterrichtsfilmen nur einen einzigen 16 mm-Projektor. Um diesen zu nutzen, musste man mit 6 kräftigen Schülern in die Lehrergarderobe, um die drei außerordentlich schweren Holzkisten ins Klassenzimmer zu schleppen, in denen der Projektor und die zwei riesigen Lautsprecher steckten. Es gab insgesamt zwei Overhead-Projektoren, für deren Nutzung man sich schon Tage vorher in eine Reservierungsliste eintragen musste. Das änderte sich wenigstens schlagartig 1983, als dann die für den abgeblasenen Neubau schon bewilligten Gelder für solche Neuerungen ausgegeben werden konnten. Im Zimmer des stellvertretenden Schulleiters gab es Anfang der 80er das einzige Fotokopiergerät an der Schule, auf dem ein Schlitten im Zeitlupentempo mit der Vorlage langsam hin- und wieder zurückfuhr und das für das Kollegium nicht zugänglich war. Im Lehrerzimmer roch es vor 8.00 Uhr immer reichlich nach Spiritus. Da stand man an zwei mit Handkurbel zu betreibenden Kopiermaschinen für sog. Spiritusmatritzen Schlange, oder an der etwas flotteren dritten, die schon elektrisch lief, und hörte sich das Gefluche der Kolleginnen und Kollegen über die Tücken der Technik und die blau verfärbten Hände an. Anfangs musste man sich diese Matritzen selber kaufen, später durfte man sich in Maßen auch an einem Vorrat im Sekretariat bedienen.

In den 80er Jahren hielt immerhin auch der Computer Einzug ins Klenze-Gymnasium –  in einem kleinen Raum im Keller. Bezeichnend erscheint in der Rückschau, dass dabei die Initiative weniger von Lehrerseite ausging, wie folgende Notiz aus dem Jahresbericht 1982/83 zeigt:

In den Monaten März, April und Mai wurde von den Schülern Dirk Loomans (11c) uns Hans Stadtherr (11b) eine Einführung in die Programmiersprache BASIC gegeben. Auf freiwilliger Basis nahmen an dem wöchentlich zweistündigen Nachmittagskurs 15 Schüler aller Jahrgangsstufen teil. Außerdem konnten die Teilnehmer am Ende eine Prüfung zum Erwerb der Benutzererlaubnis für die Rechneranlage der Schule erwerben.

Das Lehrerkollegium war vor allem in der ersten Hälfte dieses Jahrzehnts schon eher geprägt von konservativen Persönlichkeiten alten Schlages, die für die sozialen Entwicklungen und Probleme ihrer Klientel wie auch der Gesellschaft wenig Bewusstsein und vorrangig ihre Privilegien im Blick hatten. Da kam es schon vor, dass ein Studiendirektor sich weigerte, eine Vertretungsstunde zu halten, weil er das für unter seiner Würde hielt. Die Sitzordnung in der Klasse – so hieß es ausdrücklich in einer Lehrerkonferenz – legt der Klassenleiter fest. Als einem  Französisch unterrichtenden Studiendirektor die Hufeisensitzordnung in `meiner` 7. Klasse nicht passte, wurde mir befohlen, diese rückgängig zu machen. Und wenn man beim Vorsitzenden des Personalrats nachfragte, warum immer nur die wenigen Studienräte zur Aufsicht bei der Nacharbeit eingeteilt wurden, wurde man 30 Minuten später zum Schulleiter zitiert. Und wie sich manche Fachbetreuer bei Gesprächen über respizierte Schulaufgaben gegenüber jüngeren Kollegen benahmen, will ich hier nicht weiter ausführen.

Noch heute erinnere mich an endlose Diskussionen in Notenkonferenzen, weil etliche ältere Kollegen nicht akzeptieren wollten, dass eine Vier minus in einer Schulaufgabe bei der Berechnung der schriftlichen Gesamtnote einfach als 4 und nicht beispielsweise als 4,40 verrechnet werden sollte.

Natürlich blieb auch das Klenze-Gymnasium nicht von den politischen Turbulenzen jenes Jahrzehnts verschont:

An einem Tag im Oktober 1983 gab es Aufregung und Auseinandersetzungen mit dem Direktorat, weil sich Schüler der Kollegstufe einem Aufruf des DGB folgend um 12.00 mittags zu einem Schweigekreis gegen den Nato-Doppelbeschluss zur Nachrüstung mit pershing 2-Raketen im Osthof versammelten. Aus dem Grund  organisierten dann Kollegiaten über die evangelische Jugend der nahen Himmelfahrtskirche Fahrten zu Friedensdemonstrationen bei Ulm und im Hunsrück. Im Gegensatz zu FfF heute aber am unterrichtsfreien Wochenende.

Etliche Zeit später dann kam es nachts zu einem Einbruch in das Sekretariat und Direktorat. Wohl mit einer Stichsäge wurde das Schloss des Sekretariats herausgesägt und dieses dann verwüstet. Den Schreibtisch des Schulleiters lackierte man rot und allenthalben lagen Zettelchen herum mit Aufschriften wie „petting statt pershing“ und „make lover, not war“. Die Ermittlungen der herbeigerufenen Polizei samt Spurensicherung blieben jedoch erfolglos. Seitdem ist das Gebäude des Klenze-Gymnasiums nachts alarmgesichert.

Das zweite große Thema der 80er Jahre war die Atomkraft, das zuverlässig für heftige Diskussionen unter Lehrern, aber auch mit Schülern sorgte und natürlich durch die Reaktorkatastrophe in Tschernobyl 1986 besonders aktuell wurde. Kinder und Sport im Freien oder nicht? Die Physikfachschaft besorgte Geigerzähler und kontrollierte den Rasen. Bis zu wieviel Bequerel ist eine Milch noch trinkbar? Die Behörden jonglierten mit Grenzwerten… Seit jener Zeit hatte das Klenze-Gymnasium für etliche Jahre einen Strahlenschutzbeauftragten.

1988 gelang dem Personalrat ein besonderer Coup: Schon mal im Innersten eines Reaktorkerns eines AKW gewesen? Über persönliche Kontakte organisiert durfte aus dem Kollegium jeder, der wollte, und es wollten viele, an einer Besichtigungstour in das kurz vor der Fertigstellung befindliche Kraftwerk OHU 2 teilnehmen und durch den Reaktorkern kriechen. Die anschließenden kontroversen Diskussionen pro und contra Kernenergie waren allerdings nicht weniger heftig als vorher.

Relativ schnelle und sehr fundierte Behandlung erfolgte im Blick auf das dritte große Thema der 80er: AIDS. Dazu gab es eine außerordentliche Lehrerkonferenz und mehrere Veranstaltungen, auch wenn das dem damaligen Kultusminister vermutlich nicht gefallen hat.

Schließlich sollte nicht unerwähnt bleiben, dass Mitte der 80er Jahre ein weitgehendes Rauchverbot an der Schule eingeführt wurde, insbesondere für das Lehrerzimmer. Aus dem Zimmer 136a hörte man dann in den Pausen deutliche Geräusche guter Gelauntheit. Dort durfte eine Hand voll hartnäckiger Raucherinnen und Raucher weiter ihrer Passion nachgehen. Amüsiert beobachteten auch einige Kollegen vom Lehrerzimmer aus, wie der Schuleiter während einer Pause über den Westhof eilte, um eine neue türkische Kollegin zur Rede zu stellen, die sich ihre Pausenaufsicht mit einer Zigarette angenehmer machte und von dem Rauchverbot wohl keine Kenntnis hatte.

Die 80er Jahre waren auch nicht frei von Kuriositäten: Mitte der 80er Jahre z.B. verordnete der damalige Kultusminister Zehetmair für mich als Theologen ein absolutes Unding, das sog. Schulgebet: Sollte bedeuten, dass jeder Lehrer der ersten Stunde mit seiner Klasse ein Gebet sprechen sollte – unabhängig vom Fach und von seiner eigenen religiösen Einstellung oder der seiner Schüler, was für nicht unerhebliche Unruhe sorgte, vor allem am Klenze-Gymnasium, wo schon damals wegen des Unterrichtsmodells für türkischsprachige Schüler ein Viertel aller Schüler einen nichtchristlichen Migrationshintergrund hatten. Die meisten KollegInnen behalfen sich dann damit, dass sie in dem Schuljahr am Beginn der ersten Stunde einen mehr oder minder neutralen besinnlichen Text vorlasen oder vortragen ließen.

Ich glaube, den gelungensten Abiturscherz erlebte ich auch schon in den 80er Jahren: KollegInnen, die morgens gegen 7.15 Uhr das Lehrerzimmer betreten wollten (damals gab es nur die Doppeltür bei den Lehrertoiletten) bekamen keinen Fuß durch die Tür, da diese durch einen undurchdringlichen Verhau aus Stühlen und Tischen verrammelt war. Das Ausmaß dieses `Verhaus‘ stellte sich erst nach und nach heraus. Die Abiturienten hatten sämtliche Tische und Stühle aller Klassenzimmer des 1. Stockwerks nachts ins Lehrerzimmer transportiert, so dass dieses flächendeckend und bis unter die Decke vollgestellt war. Die ameisenhaft organisierte Entleerung des Lehrerzimmers dauerte dann bis in die zweite Pause.

Die 80er Jahre waren aber auch die Ära Kalkschmidt. Frau Beate Kalkschmidt, Lehrerin für D/E/G, anfangs Seminarlehrerin, ab 1983 stellvertretende Schulleiterin, sorgte nicht nur für einen deutlich kollegialeren Umgang der Schulleitung mit dem Kollegium und das Aufbrechen einer reinen Männerdomäne, sondern prägte auch wesentlich die kulturelle Aura der Schule durch aufwendige und beeindruckende Theaterinszenierungen und Lesungen aus ihrer eigenen lyrischen Produktion.

Bis das Klenze-Gymnasium meinem Traum von einer Schule deutlich näher kam, die ein rücksichtsvolles, demokratisches soziales Biotop darstellt, das als irrtumsfreundlicher Organismus funktioniert, in dem Kollegium und Schulleitung zusammen wie ein elastisches Netz alle Lasten, Probleme und Fehlleistungen, die es ja immer gibt, gemeinsam auffangen und tragen, das dauerte allerdings noch einige Jahre.

Friedrich John (D/G/Ev)

Klenze-Gymnasium 13.2.1980 – 13.2.2015