In ihrer Hausarbeit im W-Seminar recherchiert Anna Helene Peter, Abiturientin des Jahrgangs 2021, Jugend, Schulzeit und beruflichen Werdegang von Godel Rosenberg, der als Überlebender des Holocaust nach München kam, einen Teil seiner Schulzeit am Klenze verbrachte, später Journalist wurde und Pressesprecher der CSU. In persönlichen Interviews hat Anna Helene Peter aus erster Hand von seinen Erinnerungen an seine Schulzeit erfahren.

 

Unsere Wege kreuzten sich, als mir Jahrzehnte später ein Jahresbericht aus dem Schuljahr 1956/57 in den Händen liegen sollte. In diesem Jahresbericht war sein Name „Godel Rosenberg“ eingetragen, in der Klasse 1a an der Klenze-Oberrealschule. Darunter verstehen wir heute die fünfte Jahrgangsstufe. Die Schule war damals noch im Gebäude des Theresien-Gymnasiums untergebracht. Das Bauwerk am Kaiser-Ludwig Platz hatte für den damals zehnjährigen Godel nichts mehr mit der Idylle seiner Volksschule gemeinsam. Im Gegenteil. Für ihn war es ein „furchterregendes Gebäude“. Die hohen Korridore, die hohen Säulen, die Figuren und insbesondere die Statue vorne am Platz von Kaiser Ludwig auf einem Pferd wirkten auf ihn als Kind erdrückend. Die Kälte des Gebäudes wurde durch die damaligen Gepflogenheiten im Schulalltag nur noch verstärkt. Beim Betreten des Klassenzimmers musste von den Holzbänken aufgesprungen, sich hingestellt und der Lehrer mit einem „Guten Morgen Herr Professor“ begrüßt werden.

Anekdote Fahrrad

Wenn ich mir den jungen Godel Rosenberg bildlich vorstelle, habe ich ihn immer zusammen mit seinem Fahrrad vor Augen. Beim Schwärmen von seinem Fahrrad erstrahlen die Augen des lebenserfahrenen Godel, sodass man die Begeisterung des jungen Spunds direkt vor sich sieht. Mit seinem Windtrad „mit dt“, wie er mir versicherte, in blauschwarz fuhr er täglich zur Schule. Solange, bis es vom Fahrradständer Eingang Beethovenstraße gestohlen wurde. Aber da das erst seit einem Jahr im Besitz der Familie gewesene Fahrrad versichert war, konnte er zum Glück schon bald wieder mit einem Neuen glänzen. Einem noch viel Besseren. Einem neuen französischem „Louison Bobet“. Der Neid der Klassenkameraden war ihm sicher.

Probleme mit den Lehrern Zach und Haller

Neben vieler weiterer lustiger Anekdoten prägten Godels Bild des Klenze vor allem seine Probleme mit Lehrern. Die Atmosphäre der Schule und die damaligen Gepflogenheiten stießen ihn ab und so war es auch mit den guten Noten vorbei. Den Unterricht und den Lerninhalt lehnte er komplett ab. Diese Kombination aus schlechten Noten und seiner rebellischen Haltung war, wie er es bezeichnete, für einen 11-jährigen damals das „Todesurteil“. So sollte er mit einigen Lehrern und der Schulleitung in Konflikt geraten. Einen dieser Konflikte hatte er mit seinem Lehrer Haller, welcher mit seinem knarzenden Holzbein, vermutlich Folge einer Kriegsverletzung, zu kämpfen hatte. Er unterrichtete seine Schüler in Deutsch und Geschichte und während er zwischen den ersten Reihen hin und her ging, lispelte er insbesondere immer beim Konsonanten „s“. Bei einem Nachnamen wie Rosenberg, klang das für die jungen Schüler natürlich immer sehr unterhaltsam und so machte der junge Godel den Lehrer immer super nach: „Der Rosenberg, der Rosenberg“.

Insbesondere eine Begebenheit mit seinem Kunsterziehungslehrer Thomas Zacharias verbindet Godel bis heute noch sehr mit dem Klenze. Zach, wie ihn Godel nennt, war ein Mann mit zwar nur einem Meter sechzig Größe, aber dafür war er sehr gut gebaut. Zu dem Zeitpunkt dieses Vorfalls war Godel ungefähr ein elfjähriger Zweitklässler der Oberrealschule. Wie immer saß er am Fenster. Von dort aus hatte er den Überblick über den Kaiser-Ludwig Platz, sowie über die Beethovenstraße. Dort an der Straßenecke war ihr Klassenzimmer. Es war Sommer und Frischluftliebhaber Godel hatte das Fenster neben sich geöffnet. Nach der Begrüßung des Professor Zach sagte dieser „setzen“ und „machte dazu die entsprechende Handbewegung mit ausgestrecktem Arm. Vielleicht hatte das, was jetzt geschah in meinem Unterbewusstsein, mit dem ausgestreckten Arm des Zeichenlehrers zu tun.“ (Rosenberg, Godel: Franz Josef Strauß und sein Jude, Allitera Verlag, München 2015, S.94). Denn sein Kunstlehrer hatte andere Pläne mit dem Fenster und so sagte er „Rosenberg, machs Fenster zu! “ – Godel entgegnete daraufhin spitzbübisch wie er war spontan: „Machs selber zu!“ Auf diese Missachtung seiner Autorität reagierte Zach mit einem hoch roten Kopf und einer Ohrfeige für den jungen Spitzbuben. Für Rosenberg Senior hatte dieser Vorfall eine weitaus größere Bedeutung als nur eine Ohrfeige von einem Lehrer gegenüber einem Schüler. Für den Holocaustüberlebenden ging es hierbei um viel mehr. Für ihn war es Deutscher schlägt Jude. Und nicht irgendeinen Juden. Nein, es war sein Sohn, der es doch besser haben sollte als er es selbst hatte. Ein Eklat. So reichte der Vater sowohl bei Lehrer Zach und später auch bei der Schuldirektion Beschwerde ein. Als das Klenze im Schuljahr 1961/62 sein heutiges Schulgebäude in der Wackersbergerstraße bezog, war Godel einer der Schüler, die beim Tragen der vielen Umzug Kartons halfen. Doch dies sollte eine seiner letzten Erinnerungen an diese Schule, an unser heutiges Klenze-Gymnasium werden. Denn der Lehrer blieb uneinsichtig und verteidigte den Vorfall mir damaligen Kultur: „Eine Ohrfeige könne nie schaden“ und so entstand ein riesiger Ballon, der schließlich im Schuljahr 1961/62 zum Platzen kam. Godel Rosenberg verließ freiwillig das Klenze-Gymnasium. Die Schule sollte auch noch in Zukunft auf ihm lasten.

Mir stellte sich sofort die Frage, ob Godel aus heutiger Perspektive sagen würde, dass er damals im Vergleich zu seinen Mitschülern anders behandelt wurde. Ob er damals das Gefühl hatte, auch fünfzehn Jahre nach Kriegsende, dass zwischen ihm als Jude und all den anderen Mitschülern immer noch ein Unterschied gemacht wurde. Dies verneint Godel jedoch. Er sah und fühlte sich immer als ein ganz normaler Schüler unter vielen anderen.

Erneutes Aufeinandertreffen Jahre später

Die Wege des ehemaligen Schülers Godel Rosenberg und des Kunsterziehungslehrers Thomas Zacharias sollten sich 25 Jahre später erneut kreuzen. Denn nicht nur Godel verließ das Klenze-Gymnasium. Nein, bereits 1966 sollte es den Lehrer an die Akademie der Bildenden Künste München führen. Dort wurde er 1969 sogar kommissarisch Präsident der Akademie und blieb auch bis zu seiner Emeritierung 1995 der Hochschule als Professor und als zeitweises Mitglied des Präsidialkollegiums erhalten. Während seiner Zeit als Pressesprecher der CSU unter dem bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß besuchte Godel Rosenberg in dieser Funktion die Kunstakademie in Schwabing. Zu diesem offiziellen Besuch mit Landtagsabgeordneten waren natürlich auch die Professoren der Akademie geladen. So kam eins zum anderen und plötzlich stand sein ehemaliger Lehrer Zach vor ihm. Da schauten beide nicht schlecht drein. „Der wurde mehrfarbig im Gesicht“, berichtete Godel mir. Im Verlauf der Veranstaltung sprach Zach ihn an: „Herr Rosenberg sind sie mir noch böse?“ „Großmütig wie ich bin sagte ich: Herr Zach vergessen sie es“. Auch Strauß erzählte er einst die Anekdote aus alten Schultagen und dieser wird wahrscheinlich gesagt haben: „Die Watschn wirst schon verdient haben“.